Der Lacustre ist das beste Boot der Welt.

Von Stephan Frank

Der Lacustre ist das beste Boot der Welt. So überschwänglich würde ein Deutscher seine Liebe zu der original Schweizer Einheitsklasse äußern. Der Lacustre ist ein sehr gelungenes Schiff. So zurückhaltend würde ein Schweizer seine Liebe zu dem Boot kundtun, das in Deutschland, der Schweiz und Österreich verbreitet ist. Einig sind sich aber die Segler aller drei Nationen, der Lacustre zählt zu den schönsten Booten. Dabei liegt es im Dunkeln, warum Henri Copponex vor 80 Jahren den Lacustre konstruierte.

Die Idee dazu kam 1938 aus dem Yacht Club de Genève. Dessen Präsident Pierre Bonnet wollte wohl die erste Bol d’Or gewinnen. Es zeichnete sich schon damals ab, dass es eine prestigereiche Veranstaltung würde – Copponex zeichnete 1938 eine Yacht mit Siegchancen. Bereits drei Lacustre waren bei der ersten Bol d’Or 1939 am Start, die ‚Sagittaire‘ kam nach 25 Stunden und 16 Minuten ins Ziel, zwei Stunden nach der 6mR-Yacht ‚Ylliam IV‘. Nach einer anderen Version wollte Copponex ein preislich günstiges Schiff zwischen den 30qm Schärenkreuzern und den Drachen schaffen. Für die damaligen Verhältnisse mit geringen Überhängen und einem scharfen Bug für gute Kreuzeigenschaften und einem hohen, schmalen Rigg. Ein schnelles Boot, geschaffen für die leichten Winde des Genfersees. Und gleichzeitig steif genug, um ohne Angst ein Gewitter auszusegeln.

Die Summe vieler, eigentlich kaum zu vereinbarender Eigenschaften befeuert noch heute die Liebe der Lacustre-Eigner zu ihren Booten. Die Schiffe sind auch bei wenig Wind schnell. Ohne Welle erreicht der Lacustre bei einer Windstärke unter Genua knapp fünf Knoten am Wind. Mit Fock und ungerefftem Groß macht der Lacustre auch bei sieben Beaufort keine Probleme und fährt ungerührt geradeaus. Drüber hinaus ist dringend ein Reff angeraten. Der Lacustre ist eine Rennmaschine, die auch erfahrene Steuerleute fordert. Am Wind erzeugt die 22 Quadratmeter große Genua ordentlich Druck, vor dem Wind sorgt der 65 Quadratmeter grosse Spinnaker für genügend Zug. Zugleich kann der Lacustre ohne Probleme einhand gesegelt werden, auch Hafenmanöver sind ohne Motor möglich. Und der Lacustre ist familientauglich. Eine Segelreise zu zweit auf dem Bodensee, dem Zürich- oder dem Genfersee bietet das reine Vergnügen. Das Achterschiff ist lang genug zum Sonnen und Räkeln. Die Kajüte hat eine 1,70 Meter breite Liegefläche, bietet aber nur Knie-, und keine Stehhöhe. Dafür räumt jeder Hafenmeister auch im überfülltesten Hochsommer noch einen Platz für einen Lacustre frei. Ein 1,81 Meter breites Boot ist am See leichter unterzubringen als ein 3,50 Meter benötigendes, hochseetaugliches Charterschiff.

Als Lacustre-Segler ist man selten allein. Legendär ist die Gemeinschaft. Auf der Regattabahn kämpfen die Cracks um jedes halbe Grad mehr Höhe, um jeden Zentimeter Raum. Wenn an der Leebahnmarke nur Platz für vier Schiffe ist, aber bereits fünf runden wollen und von hinten Nummer sechs bis acht in Rauschefahrt heranschieben. Da mag der Lacustre wie ein edles Möbelstück aus Teak und Mahagony noch so poliert sein, es wird scharf gefahren, schliesslich ist das Niveau in der Klasse hoch. Aber egal, wie es zuvor an der Tonne zuging – am Abend beim Bier sitzen alle zusammen.

Grob geschätzt 100 der 270 gebauten Lacustres werden aktiv Regatta gesegelt, deren Eigner können tagelang tüfteln, welche Leine wo geführt werden muss, ob es einen besseren Beschlag zu kaufen gibt – oder kann gar der befreundete Maschinenbauer einen neuen konstruieren. Und wenn der selbst Lacustre segelt, entsteht schon mal eine neue Winsch.

Es gibt unter den Lacustreeignern aber auch genügend Fahrtensegler, die Neptun einen lieben Mann sein lassen – und denen es schlicht egal ist, ob das Schiff einen Wendewinkel von 88 Grad hat – oder einen von 95. Ankommen werden auch sie. Und dann gibt es noch die Oldtimersegler. Die mit viel Liebe und noch mehr Zeit ihren beplankten Holzlacustre im Originalzustand erhalten. Denen wichtig ist, dass ihr Schmuckstück die Originalbeschläge aus den 40er oder 50er Jahren fährt, die Backstag wird mit Streckern oder Rädern gespannt – und nicht mit kugelgelagerten und teflonbeschichteten Taljen, wie bei den Regattaseglern.

Zum Lacustre gehört nicht nur die Schweizermeisterschaft wie 2019 in Rapperswil, sondern auch die Far Niente, wenn 20, 30 Schiffe in der ersten Augustwoche mit einer familientauglichen Überführungsregatta von Hafen zu Hafen gondeln. Platz ist auf dem Lacustre genug, für Vater, Mutter und zwei Kinder – die es lieben, im Vorschiff zu schlafen. Der legendäre Emil Rutishauser hat die Far Niente in die Klasse gebracht, nach dem Vorbild der Croisière des Caves am Genfersee.

Seit 1938 wurden 270 Einheiten gebaut, 75 Jahre später fahren gut 170 auf dem Bodensee, die anderen sind auf dem Zürichsee dem Genfersee und einigen anderen Seen nördlich der Alpen. Auch Berlin kennt den Lacustre – und sogar auf dem Rhein ist einer unterwegs. Für das Meer hat ihn Henri Copponex nicht gebaut. Es ist ein reiner Binnenracer, mit klassischen alten Formen – dennoch passte die Klassenvereinigung die Konstruktion über die Jahre behutsam den neuen Zeiten an. Der Mast ist schon längst aus Aluminium. Damit die Besitzer der Holzmasten nicht benachteiligt werden, haben die Aluriggs keine Jumpstagen, die Holzmasten schon. Die Klasse hat über Jahrzehnte darauf geachtet, dass neue, bewährte Materialien zugelassen werden, die alten Schiffe aber konkurrenzfähig bleiben. Bei den Rümpfen gibt es klassisch beplankte, welche aus GFK, sie sind formverleimt oder in Compositbauweise. Die Gemeinschaft der Einheitsklasse hat immer penibel darauf geachtet, dass das Geschwindigkeitspotential der Rümpfe gleich bleibt. Das Konzept ist aufgegangen, das älteste Schiff der Schweizermeisterschaft in Spiez war die 18 ‚Arcano‘, Baujahr 1941.

Diese Beständigkeit ist mit ein Grund dafür, dass die Lacustre-Klasse 75 Jahre alt geworden ist. Die ersten Lacustres kosteten etwa 5’000 Schweizer Franken, inflationsbedingt wären das heute etwa 50’000 Franken*. Weil die Schiffe technisch immer besser wurden, kostet ein Neubau heute deutlich über 100’000 Euro. Viel Geld – aber immer noch günstig. Denn ein Lacustre kann auch die nächsten Jahrzehnte segeln – und der Eigner muss nicht alle fünf Jahre dem neuesten Renner hinterherrennen.

*geschätzt nach dem Brotpreis- und Bauindex.

Mehr über Henri Copponex: https://archives.henri-copponex.ch